Autor*innen: Fabian, Max, Julia, Seija, Paula, Caspar
Allgemeine Bewertung
Positiv: Das Programm hat mit dem Fokus Ungleichheit, Respekt, gesellschaftlicher Zusammenhalt, gute Arbeit, Klimawandel, Digitalisierung und Europa ein breites Spektrum.
Negativ: Das Zukunftsprogramm liefert an vielen Stellen die richtige Analyse und benennt die Probleme, bleibt aber an manchen Stellen vage und ein wenig konsequent in den Forderungen.
Fazit: Die zentrale Herausforderung wird für die SPD sein, überhaupt ein Alleinstellungsmerkmal zu erlangen und Gehör zu finden. Für uns Jusos ist klar, dass dieses Thema soziale Gerechtigkeit ist. Es ist zwingend, hier wieder Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit herzustellen. Das Programm ist ein Schritt in die richtige Richtung und hat viele Forderungen, die wir Jusos seit Jahren verlangen, mit aufgenommen (Vermögenssteuer, Ausbildungsgarantie…). Es lohnt sich für dieses Programm Wahlkampf zu machen, auch wenn an manchen Stellen einige Fragen noch deutlicher beantwortet werden müssen.
Finanzpolitik
Positiv: Bedeutend und wichtig ist, dass die wachsende Ungleichheit an Vermögen und Einkommen als Problem gesehen und anerkannt wird. Für uns Jusos ist das einer der programmatischen Kernpunkte.
Die Erhöhung der Einkommenssteuer für Spitzenverdiener*innen (3% Erhöhung p.P.), die Einführung einer Vermögenssteuer (1% auf hohe Vermögen) und die Reform der Erbschaftssteuer sind alles wichtige Schritte, die jedoch nicht weit genug gehen, um die Vermögensungleichheit wirklich dauerhaft zu verändern.
Positiv hervorgehoben werden müssen die Forderungen, digitale Unternehmen stärker zu besteuern, die Finanzmärkte stärker zu regulieren und eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Hier bleibt das Programm jedoch vage und es wird auf die tatsächliche Umsetzung ankommen.
Negativ: Auffällig ist das (verklausulierte) Bekenntnis zur Schuldenbremse. Dies ist aus jungsozialistischer Sicht falsch. Zukunftsinvestitionen lohnen sich immer dann, wenn der Ertrag größer ist als die Zinslast. Die Schuldenbremse verhindert dies und sorgt dafür, dass viele Zukunftsinvestitionen, die im Programm gefordert werden und für uns als Gesellschaft rentabel wären, nicht finanziert werden könnten. In Anbetracht des Klimawandels und des Investitionsstaus in der öffentlichen Infrastruktur ist die Schuldenbremse der falsche Weg
Fazit: Ein Schritt in die richtige Richtung, der noch deutlich größer ausfallen könnte.
Gesundheit
Positiv: Die Ziele, innovative Behandlungsformen und personalisierte Medizin zu fördern und den Ausbau der digitalen Gesundheitsinfrastruktur voranzubringen. Auch mit dem Aspekt, bei der medizinische Forschung künftig die (Aus-)Wirkung auf Frauen und Kinder zu berücksichtigen. Das ist für uns ein wichtiger Schritt. Als Evergreen wird die Bürger*innenversicherung gefordert. Wie deren solidarische Ausgestaltung gelingen kann, bleibt offen.
Negativ: Die Analyse ist richtig, die daraus abgeleiteten Forderungen sind nicht mutig genug. Es wird zum Beispiel sehr richtig festgestellt, dass die Importabhängigkeit für die Arzneimittelversorgung fatal ist. Die Konsequenz, zur Sicherung der Versorgungssicherheit künftig Arzneimittel wieder verstärkt in Europa zu produzieren wird aber nicht gezogen. Auch fehlt der Mut, die Erkenntnis zu formulieren, dass Gesundheitsversorgung kein Markt ist, sondern staatliche Eingriffe und Regulierung braucht.
So kann man sich auch nicht durchringen, die Renditeorientierung abzuschaffen, sondern schreibt lediglich davon, sie Eindämmen zu wollen. Zwischen den Zielen, Kliniken bedarfsgerecht zu finanzieren und die Fallpauschalen im Bereich der Kinder- und Jugendmedizin abzuschaffen, ansonsten „wo nötig zu überarbeiten und ggf. abzuschaffen“ bleibt zu viel Interpretationsspielraum.
Fazit: Wir wollen mehr Staat in der Gesundheits- und Pflegeversorgung. Gewinnorientierung hat im Gesundheitswesen nichts zu suchen. Dies hätte noch deutlicher formuliert werden müssen.
Arbeit
Positiv: Gleich im ersten Satz steht das Bekenntnis zum Ziel der Vollbeschäftigung mit gerechten Löhnen und das Recht auf Arbeit. Mit der Anhebung des Mindestlohns auf 12 € und dem Ziel, Tariftreue zu stärken und ein Bundestariftreuegesetz einzuführen, geht es stark weiter. Das Ende der sachgrundlosen Befristung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Leiharbeiterinnen und die Stärkung der sozialen Absicherung für geringfügig Beschäftigte sind weitere wichtige Forderungen. Auch wird ein Augenmerk auf soziale Dienstleistungsberufe gerichtet. Eine Erhöhung des Pflegemindestlohns und ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Altenpflege werden als Ziel ausgelobt. Wichtig ist die Forderung nach einem neuen Personalbemessungsinstrument. Besonders erfreulich sind die Vorschläge zur Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung. Die Forderung nach Parität in den Aufsichtsräten wird die Arbeitgeberverbände (hoffentlich) zur Weißglut treiben. Mehr Mitbestimmung soll für Betriebsänderungen, Beschäftigungssicherung aber auch beim Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen gelten sowie beim Einsatz neuer Technologien wie der künstlichen Intelligenz. Überfällig ist auch die Ausweitung des Kündigungsschutzes für Betriebsrätinnen. Mit dem Absatz zur Plattform-Arbeit zeigt die SPD, dass sie Arbeitnehmerrechte auch im 21. Jahrhundert vertreten möchte. Mit dem Arbeitnehmerstatus und dem Verbandsklagerecht für Gewerkschaften könnte prekärer Beschäftigung im digitalen Zeitalter der Kampf angesagt werden.
Negativ: Offen ist, was genau eine Pflicht zur Altersvorsorge für Solo-Selbstständige und das Sicherungsgeld für die Sozialabgaben bedeutet.
Konkreter könnte man bei der Verfolgung der Behinderung der Betriebsratsarbeit sein: wir wollen Schwerpunktstaatsanwaltschaften und die Behinderung von Betriebsratsarbeit zum Offizialdelikt machen!
Fazit: Insgesamt ein erfreulicher Abschnitt im Wahlprogramm, damit kann man sich selbstbewusst als einzige Partei behaupten, die Arbeit als zentralen und komplexen Lebensbestandteil im Fokus hat.
Wohnen
Positiv sind weiterhin die Forderungen nach einer Entfristung der Mietpreisbremse, die Ausweitung des Zeitraums der Berücksichtigung von Mieten im Mietspiegel auf künftig acht statt sechs Jahre, die Begrenzung der Modernisierungsumlage auf Mieter*innen auf 4% (statt 8%), die Einführung einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit, die Forderung jährlich 100.000 Sozialwohnungen neu zu bauen, die Schaffung von Bodenfonds und zentralen Immobilienregistern, um Eigentumsstrukturen transparent zu machen. Wesentliches Element ist die Forderung nach einem Mietenmoratorium, das ähnlich einem Mietendeckel (Berlin) oder Mietenstopp (Volksbegehren Bayern) ausgestaltet sein soll. Schade ist jedoch, dass bereits die Forderung schon wieder Einschränkungen enthält: So soll das Mietenmoratorium nur in angespannten Wohnlagen gelten, zeitlich befristet sein und im Übrigen Mieterhöhungen im Rahmen der Inflationsrate weiterhin zulassen. Diese Einschränkungen sollten gestrichen werden.
Negativ: Es fehlt leider die Bodenwertsteuer auf leistungslose Wertsteigerungen von Grundstücken bei der Baurechtsschaffung durch die Gemeinden – hier wäre zwingend nachzubessern. Es fehlt auch die Forderung, künftig die Grundsteuer nicht mehr auf Mieterinnen umzulegen.
Schließlich fehlt eine Lösung für die Absicherung von Mieter*innen vor den wirtschaftlichen Folgen der Coronapandemie: Die Stundung von Mietzahlungen und der damit einhergehende Kündigungsschutz müssen in diesem Zusammenhang wieder ermöglicht werden, wobei die Stundungszinsen künftig dem aktuellen Niedrigzins angepasst werden sollten. Außerdem wären baurechtliche Ausnahmeregelungen für eine schnelle Schaffung von neuem sozial gebundenem Wohnraum hilfreich, die ähnlich der im Jahr 2015 befristet eingeführten Regelungen zur schnellen Schaffung von Wohnraum für Geflüchtete ausgestaltet werden könnten.
Die Förderung der Bildung von Wohneigentum zum Zwecke der Vermögensbildung und Alterssicherung sollte wieder gestrichen werden. Angesichts der Tatsache, dass Grund und Boden ein begrenztes Gut sind und die Alterssicherung eigentlich sinnvollerweise über eine stabile Rente erfolgen sollte, wäre diese Passage hier falsch.
Fazit: “Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit” – so wird es jedenfalls häufig vorgebracht. Von 60 Seiten Wahlprogramm findet sich somit auch etwas über eine Seite zum Thema “Bezahlbar wohnen” im Vorschlag für das Wahlprogramm. Der Text enthält sehr viele positive Forderungen, an einigen Stellen kann jedoch auch noch nachgebessert werden.
Gleichstellung
Positiv: Die Überarbeitung des Abstammungsrecht, ein Verbot von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität im Grundgesetz, rechtliche Absicherung von vielfältigen Familienmodellen durch die Einführung der Verantwortungsgemeinschaft neben der Ehe. Der Absatz zur Gleichstellung liest sich wie ein Bekenntnis zu einer vielfältigen Gesellschaft. Die SPD legt hier einige konkrete Maßnahmen vor, um die freie Entfaltung unabhängig von Geschlecht und Identität zu sichern.
Ganz besonders erfreulich an diesem Absatz: die Abschaffung der Paragraphen 218 und 219a Strafgesetzbuch. Schwangerschaftsabbrüche und Informationen dazu sollen endlich flächendeckend für alle Frauen und Paare zugänglich gemacht werden. Die SPD formuliert klar, dass Schwangerschaftsabbrüche zur Grundversorgung gehören. Krankenhäuser, die öffentliche Mittel erhalten, müssen diese anbieten! Dazu gehört auch, dass betroffene Frauen sich unkompliziert und ohne stigmatisiert zu werden, informieren können.
Weitere geplante Highlights: Das Ehegattensplitting, welches zur Aufrechterhaltung einer reaktionären Rollenverteilung zwischen Mann und Frau beiträgt, soll abgeschafft werden. Zusätzlich zum “Entgelttransparenzgesetz”, soll ein neues Gesetz geschaffen werden, das Unternehmen in die Verantwortung nimmt, Gehälter auf Geschlechtergerechtigkeit zu prüfen.
Negativ: In Sachen beruflicher Gleichstellung der Frau hätte man sich darüber hinaus etwas mehr erwarten können. Das Programm kündigt beispielsweise Förderprogramme zur Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf und eine Förderung von Frauen bei der Unternehmensgründung an, wird aber nicht konkret in der Ausgestaltung von Maßnahmen, um faire Aufteilung von Care-Arbeit und gleiche Karrierechancen für Frauen zu ermöglichen.
Die SPD lobt außerdem die Einführung der 30%-Quote für Aufsichtsräte und die “Mindestens eine Frau”-Regel für Vorstände von börsennotierten Unternehmen. Aber mal ehrlich: da geht noch mehr! Wir brauchen ordentliche und verbindliche Quoten.
Fazit: Die SPD hat verstanden, wie vielfältig unsere Gesellschaft ist und dass sich einiges ändern muss, um dieser Vielfalt auch rechtlich gerecht zu werden. Vor allem für die berufliche Gleichstellung der Geschlechter müssen aber noch mehr konkrete Maßnahmen für die nächsten Jahre her.
Antifaschismus
Positiv: Respekt im Sinne dieses Programms schließt die Ablehnung von Rechtsextremismus mit ein und bedeutet auch Diskriminierungsfreiheit.
Die Entkriminalisierung von Cannabis-Besitz kann zur Eindämmung rassistischer Kontrollen oder rassistisch motivierter Strafen führen, da insbesondere BPoC sehr häufig auf Drogen kontrolliert werden. Durch die überdurchschnittliche Kontrolle werden am Ende auch mehr BPoC wegen Drogendelikten bestraft als weiße Personen, die seltener kontrolliert werden.
Mehr Bürgerinnen-Beteiligung an Projekten kann die Demokratie stärken und zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe führen. Gleiches gilt für die Forderung der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an politischen Prozessen auf allen Ebenen und das „Wahlalter 16“. Gleichstellungspolitik über Mann-Frau-Schema hinausgedacht und positive Forderungen wie z.B. die rechtliche Absicherung von LSBTIQ-Familien oder die Erweiterung des grundgesetzlichen Diskriminierungsverbots um sexuelle und geschlechtliche Identität; Inklusion von Menschen mit Behinderung soll in allen Lebensbereichen zum Beispiel durch ein Bundesprogramm Barrierefreiheit gestärkt werden.
Die Tatsache, dass freier Journalismus und freie Kunst immer stärker unter Beschuss geraten, wird mit diesem Programmentwurf klar anerkannt und es werden mehr oder weniger vage Maßnahmen dagegen angekündigt.
Der Entwurf erkennt Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus und auch Antiziganismus als akute Probleme an. Eindeutiges Bekenntnis zur Aufarbeitung von NS-Verbrechen und Shoah und des Kolonialismus, mehr Unterstützung von kleinen Initiativen und Gedenkorten sowie mehr Investition in die wissenschaftliche Aufarbeitung und geschichtsbewusste Bildung.
Der Programmvorschlag kündigt endlich eine bundespolitische Förderung einer postkolonialen Erinnerungskultur an – schade, dass hier kein klares, eindeutiges Bekenntnis zur Rückgabe von Raubkunst gemacht wird, man bleibt eher vage.
Ankündigung eines „modernen Staatsangehörigkeitsrechts“, mit vereinfachter Einbürgerung (eher vage, nur Ankündigung, die nötige Regelaufenthaltsdauer zu verkürzen); Versprechen, Mehrstaatlichkeit generell zu ermöglichen und gesetzlich zu verankern.
Klares Bekenntnis gegen Push-Backs und pro Seenotrettung, für legale Migrationswege – aber auch hier wieder: vage, nichts wirklich Konkretes.
Die Forderung nach einem konsequenten Lieferkettengesetz, bzw. dessen Erweiterung, die sogar recht konkret beschrieben wird – so etwas kann zur Eindämmung rassistisch-kolonialistischer Ausbeutung beitragen.
Negativ: Beinahe alle positiv hervorgehobenen Punkte sind vage formuliert und lassen viele Details der Ausgestaltung außer Acht, insbesondere Fragen der Diskriminierungsvermeidung. Antirassismus und Antifaschismus bleibt fast immer im Rahmen von allgemeinen Positionierungen gegen Rechts, Rassismus etc., anstatt klar zu sagen, wie das geschehen soll. Teilweise werden Diskriminierungsformen, meist Rassismen, vergessen, außen vorgelassen. Es fallen viele Allgemeinsätze und Positionierungen, die aber keinerlei konkrete Handlungsfolgen haben oder konkrete Handlungen versprechen.
Die Bilder zeigen ausschließlich weiße Personen.
Kritik am Polizeiproblem kommt viel zu kurz: so widmet der Entwurf dem Respekt für Polizist*innen acht lange Zeilen, dem Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden gerade einmal zwei Sätze ohne konkrete Ankündigungen. Vielmehr sollen Polizist*innen wohl eher noch besser bezahlt werden.
Keine Ankündigung von dringend notwendigen, konkreten Reformen der Polizei (ich verweise hier auf die Beschlusslage z.B. der Jusos Oberbayern).
Es ist davon auszugehen, dass weiterhin in Gebiete wie bspw. Afghanistan abgeschoben werden wird und auch das „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ nicht zurückgenommen wird, da nichts in der Richtung im Programm steht.
Keine Aussagen zu den Verwicklungen deutscher Konzerne in internationale Konflikte und Menschenrechtsverletzung, also auch keine Konsequenzen daraus.
Fazit: Unter antirassistischer-antifaschistischer Betrachtung ist der vorliegende Programmentwurf zwar gespickt mit schönen Positionierungen, Allgemeinsätzen und Bekenntnissen gegen rechte Gewalt und Diskriminierung – aber es fehlt massiv an Konsequenzen daraus, an der konkreten Umsetzung, an Ideen und Forderungen, wie konkret dagegen gekämpft werden soll. Es bleibt eher dabei, dass mehr Bildung gefordert wird. Es gibt kaum etwas, dass die Perspektive rassistisch-marginalisierter Menschen auf die gesellschaftlichen Realitäten einnimmt oder auf sie eingeht. Das Programm spiegelt eine weiße Perspektive auf die Welt wider. Das Polizeiproblem wird wirklich nur ganz, ganz knapp angedeutet, der Verfassungsschutz ist gar kein Thema. Es wird nicht ein Mal die Studie über Rassismus in deutschen Sicherheitsbehörden gefordert. Black Lives Matter wird im Grunde keinerlei Rechnung getragen. Positiv ist hervorzuheben, dass die Schuld aus dem Kolonialismus anerkannt wird und sich auch bundespolitisch mit den Konsequenzen von (Post-)Kolonialismus auseinandergesetzt werden soll.
Das muss sich ändern: Antirassismus müsste in allen Bereichen mitgedacht werden und in allen Bereichen sollte geprüft werden, wie hier rassistische Mechanismen fuktionieren und bekämpft werden können. Es braucht dringend massive Reformen gegen das Polizeiproblem, dazu können wir Jusos viel beitragen (Ansätze finden sich z.B. hier https://jusos-obb.de/wp-content/uploads/2019/10/Beschlussbuch.pdf ab Seite 8).
Klimawandel
Positiv: Es ist sehr zu begrüßen, dass dem Themenkomplex Klima und Energie an Stelle 1 der Zukunftsmissionen der hervorgehobene Platz eingeräumt wird, den diese Herausforderung zweifelsfrei verdient hat.
Der Ausbau der Strom- und ggf. Gasnetze sowie Ladesäulen und Speicher ist sinnvoll.
Eine Solarpflicht auf Neubauten sowie bei Dachsanierungen ist absolut wichtig.
Negativ: Das zentrale Ziel der Klimaneutralität 2050 ist zu wenig ambitioniert. Insbesondere, weil Klimaneutralität ohne konkrete Definition weit ausgelegt werden kann. Eine Nachschärfung des Ziels auf 2040 ist geboten, was sich aus der Vereinbarung des Übereinkommens von Paris und insbesondere vor dem Hintergrund der verschärften Klimaziele der EU ohnehin ergibt. Die Stromwirtschaft muss bereits 2030 de facto klimaneutral sein.
Die zentrale Bedeutung des massiv zu beschleunigenden Ausbaus der erneuerbaren Energien für die Erreichung der Klimaziele in allen Sektoren muss deutlicher formuliert werden! Nur, wenn der Strom wirklich CO2-frei ist, sind auch Elektrofahrzeuge, Heizungssysteme z.B. durch Wärmepumpen, aber auch die Industrie und Wasserstoffproduktion klimafreundlich.
Für die Dekarbonisierung im Bereich Wärme und Verkehr kommt es auf eine Mischung aus Anreiz/Förderpolitik und Ordnungsrecht an. Hier kann die CO2-Bepreisung höchstens flankierend wirken, ersetzt jedoch keinesfalls, dass Alternativen vorhanden und finanzierbar sein müssen.
Die Abschaffung der EEG Umlage (Erneuerbaren Energie Gesetz Umlage) ist in dieser verkürzten Form nicht vertretbar, wenngleich die Intention dahinter zu begrüßen ist. Die EEG Umlage ist ungerecht. Der sozialdemokratische Weg einer Absenkung der EEG-Umlage liegt in einer CO2-Mindestbepreisung der Stromwirtschaft (Carbon Price Floor zum EU-ETS), deren Einnahmen gänzlich den Haushalten (als Pro-Kopf-Bonus) sowie den gewerblichen Verbrauchern und der Industrie anteilig zu ihrem Verbrauch zurückerstattet werden soll (Energiefreibetrag und CO2-Mindestpreis).
Fazit: Deutlich zu wenig, um den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten.
Internationales und Europa
Positiv: Dass Europa und Internationales ein Drittel des Programms ausmachen zeigt, dass die Bedeutung der Themenbereiche erkannt wurde. Es gibt ein klares Bekenntnis zur EU-Investitionspolitik auch nach Corona-Krise statt einer Rückkehr zur Sparpolitik der Vergangenheit. Die Entwicklung der EU zur Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialunion wird angestrebt. Die SPD fordert ein Initiativrecht für das EU-Parlament und ein gemeinsames Wahlrecht statt nationalem Wahlrecht für das EU-Parlament.
Wichtige Maßnahmen wie die Digitalbesteuerung, eine europäische Mindestbesteuerung und EU-CO2-Grenzabgabe sind ebenfalls enthalten. Gleiches gilt für die Abkehr von dem Einstimmigkeitsprinzip der EU in Steuerfragen und in der gemeinsamen Außenpolitik.
Ein Rechtsrahmen für europäische Mindestlöhne wäre sehr sinnvoll, wobei die koordinierte Einführung von Mindestlöhnen in der ganzen EU natürlich die eigentliche Herausforderung darstellt, die hier nicht genannt wird. Die Mindeststandards bei den nationalen Grundsicherungssystemen folgen einem ähnlichen Prinzip, sind deshalb aber trotzdem nicht weniger sinnvoll.
Die Einführung der EU-Kindergarantie und die Stärkung der EU-Jugendgarantie bleiben wichtige Forderungen bei einem Viertel von Armut bedrohten Kindern in der EU und einer Jugendarbeitslosigkeit von 17%.
Gut ist auch, dass Pushbacks an der EU-Außengrenze klar als eklatante Völkerrechtsverletzung benannt werden.
Ein Highlight stellt die Forderung nach einem europäischen Lieferkettengesetz dar. Hierfür bleibt wegen des Vorbildcharakters auch wichtig, das deutsche Lieferkettengesetz zu schärfen, sobald die Union aus der Regierung gewählt wurde.
Ein innovatives Element der globalen Entwicklungszusammenarbeit stellt ein Staateninsolvenzverfahren dar, wie es im Programm gefordert wird.
Der Kampf gegen die globale Anti-Gender-Bewegung wird zudem ernstgenommen.
Negativ: Völlig verfehlter Start des Programms im Teil “Europa stärken”. Dieser repräsentiert nicht die später erhobenen Forderungen und rückt neoliberale Frames statt globale Kooperation in den Mittelpunkt.
Schwammige Aussage zum “Abbau von Abhängigkeit von fossilen Energielieferungen”, keinerlei positive Formulierung einer Vision.
Entwicklungszusammenarbeit soll durch “Erhöhung der EU-Mittel gestärkt werden” ohne Plan bezüglich Einsatz / Verteilung zu nennen.
Ausbau der Eurozone nur mit Arbeitslosenrückversicherung, kein Umbau des strukturell ungerechten Eurosystems (zu hoher Währungspreis für südeuropäische Eurostaaten, zu niedriger für Deutschland. Struktureller Ausgleichsfonds nötig, der Binnen-Export-Überschussländer in einen Fonds zur Umverteilung einzahlen lässt).
Streitgegenstand in Handelsfragen soll “nur die Fragen von Diskriminierung sein”. Rechtlich wird jede Klageschrift “Diskriminierung” anprangern, auch in den hier vermeintlich ausgenommenen Bereichen (Daseinsvorsorge, Umweltgesetzgebungen, Klimaschutz).
MERCOSUR wird als positiv hervorgehoben (“wichtiges Projekt”), obwohl SPD-EU-Parlamentarier*innen dagegen gestimmt haben.
Fazit: Der EU-Teil in der Einleitung des Programms (Europa stärken) setzt ganz zu Beginn direkt katastrophal falsche Frames. Gezeichnet wird das Bild einer EU als “Europa der Chancen” nach Innen (“Grenzenlos reisen, arbeiten, studieren oder leben”), das wirtschaftliche und militärische Interessen in einer liberalen Weltordnung nach außen hin verteidigt: “In einem von globalem Wettbewerb geprägten Umfeld können wir unsere europäischen Werte und Interessen nur behaupten, wenn Europa nach innen geeint und nach außen handlungsfähig ist.” Erst ganz am Ende des Abschnitts wird auch europäische Solidarität angesprochen.
Der längere und inhaltlich tiefergehende Teil (“IV. Europa in der Welt”) enthält dagegen einige sehr wichtige Forderungen wie ein europäisches Lieferkettengesetz, eine CO2-Grenzabgabe, die klare Verurteilung von Pushbacks an der EU-Außengrenze, einen Rechtsrahmen für europäische Mindestlöhne und EU-Mindeststandards in der Grundsicherung oder ein Initiativrecht für das europäische Parlament. Die EU zu einer Fiskal-, Wirtschafts- und Sozialunion wird klar als Ziel benannt. Das geforderte globale Staateninsolvenzverfahren könnte die globale Entwicklungszusammenarbeit sehr zum Guten verändern.
Dennoch finden sich auch hier sehr problematische Aspekte. In der Beschreibung der Eurozone wird völlig verkannt, wie Kapitalist*innen in Deutschland und anderen reichen Euro-Ländern durch die Fehlarchitektur des Euros systematisch auf Kosten der Menschen besonders in Portugal, Spanien, Griechenland und Italien leben. Die Ausführungen zur rechtlichen und organisatorischen Gestaltung eines neuen öffentlichen Handelsgerichtshofs wirken planlos. Der Abschnitt zur Chinapolitik enthält viel Richtiges. Er verkennt aber durch seine Kürze und unauffällige Positionierung zwischen weiteren Forderungen die zentrale Bedrohung der Weltordnung durch chinesische Hegemonialansprüche und die kalten Krieger*innen im Westen, die den Konflikt befeuern.
Insgesamt enthält das Programm wichtige Forderungen, hat aber auch eklatante Lücken. Die sehr schwache Einleitung “Europa stärken” passt nicht zum tiefergehenden Teil danach und stellt keine Zusammenfassung oder Kurzfassung dar. Eine gewaltige Schwäche für ein Wahlprogramm, das höchstens überflogen werden wird und von dem viele vermutlich nur die Einleitung lesen werden.